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#LET’S MEET!

Jetzt ist die Zeit zu spielen – das Format des ersten Teils unserer Jahrestagung 2021 ist experimentell: Wir begegnen uns als Avatare in Mozilla Hubs und loten aus, welche Möglichkeiten und Grenzen diese Form der Begegnung im virtuellen Raum bietet. Denn darum geht es bei allen dg-Jahreskonferenzen vor allem: sich zu begegnen. Sich über den eigenen Theateralltag hinaus auszutauschen und den Kopf durchgepustet zu bekommen von Impulsen, die im Idealfall weit über diesen Alltag hinausweisen.

In Vorbereitung der Konferenz sind wir seit über zwei Jahren, seit der Gründungsphase der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund, mit deren Macher*innen im Austausch über die Frage: Wie lassen sich die Möglichkeiten und die Mittel, die die performativen Künste bieten, für digitale Kunst denken? Und umgekehrt: Wie können digitale Mittel für das Theater gedacht werdenAber vor allem: Wie lassen sich digitale Ressourcen nutzen, um Begegnung zu ermöglichen? Relevant waren diese Fragen schon lange, nur haben sie durch die Pandemie eine nicht vorhersehbare neue Dringlichkeit bekommen. Es ist also kein Zufall, dass die zentrale Frage der Corona-Zeit den Kern der digitalen Debatte berührt: Wie geht Treffen im virtuellen Raum? Die Akademie für Theater und Digitalität forschte von Anfang an zu dieser Frage, und deshalb konnten aus ihr heraus schon in der ersten Lockdown-Phase wegweisende Formate entwickelt werden.

Mozilla Hubs hat sich dabei im in kürzester Zeit als Tool der Wahl für Avatar-Begegnungen im Kunstkontext etabliert. Und die derzeit maßgeblichen Hubs-Entwickler Nils Corte und Roman Senkl sind praktischerweise aktuell Fellows an der Akademie. Sie haben unter ihrem Label minuseins für die letzte Ars Electronica das bisher größte Mozilla-Hubs-Kunstevent der Welt programmiert und entwickelt, das Online-Festival „In Kepler’s Gardens“, wo sie in über 100 3D-Räumen virtuelle Begegnungsstätten schufen. Und sie haben für unsere Konferenz in den letzten Wochen in einem Kraftakt eine Mozilla-Hubs-Welt erschaffen, die die realen Räume der Akademie nachbildet und für unsere Zwecke erweitert.

Expedition: Wie geht Mozilla Hubs?

Probieren wir es also aus: Wie geht das – sich digital treffen? Wie gelingt der Austausch? Stellt sich in Mozilla Hubs wirklich das Gefühl von Nähe und Austausch ein, wenn ich endlich die verdammte Technik zum Laufen bekommen habe? Will ich mich überhaupt avatarisieren? Und wäre es nicht überhaupt viel schöner, sich endlich in die Augen zu sehen, und sei es auch nur über Zoom?

Was Mozilla Hubs gut kann: den Raum stellen für Begegnungen in kleinen Gruppen. Und so werdet Ihr in allen Räumen immer mit maximal 20 Menschen zusammen sein – eine ideale Größe für Austausch und Begegnung. Nehmt Euch Zeit für Gespräche. Und für die Welt. Denn wenn man sich lange genug in ihr bewegt, stellt sich im besten Falle ein ganz eigenes Gefühl von Raum und geteilter Erfahrung ein.

Ein paar einfache Dinge helfen, damit das gut klappt: Klarnamen sind nötig, damit man bei einer Konferenz mit etwa 200 Teilnehmenden überhaupt sinnvoll ins Gespräch kommen (oder auch schlicht: sich finden) kann. Und wir bitten alle Teilnehmenden, sich vor Konferenzbeginn bei readyplayer.me einen persönlichen Avatar zu erstellen, aufgenommen mit der eigenen Computerkamera, damit wir uns gegenseitig wiedererkennen können. Und wie bei jeder Expedition hilft es, sich vorzubereiten: Schaut Euch das Tutorial an, und akkreditiert Euch rechtzeitig vor Konferenzbeginn mit Eurem Readyplayerme-Avatar. Die Essentials nicht vergessen: Headset, stabiles (W)LAN, Rechner, der nicht zu alt ist.

Und klar ist auch: Dies ist ein Experiment. Nicht für jede*n wird alles immer funktionieren. Und es wird auch manchmal etwas dauern, bis es funktioniert. Räume werden voll sein – mitunter wird man warten müssen, bis man einen Raum betreten kann. Dann plaudert so lange mit den Umstehenden. Oder lauscht einfach, was im Raum passiert, in den Ihr wollt – denn das kann man auch schon von außen hören.

Überhaupt gilt: Plant genug Zeit ein. Erst wenn Ihr anfangt, Euch in dieser anfangs vielleicht fremden Welt wie selbstverständlich zu bewegen, werdet Ihr vergessen, Euch mit der Technik zu beschäftigen, und offen sein für Erfahrungen. Erfahrungen, die wir gemeinsam machen können.

Und wenn es auch mal frustrierend werden sollte – bitte nicht böse sein, sondern einfach den Twitch-Livestream  einschalten, zurücklehnen und genießen.

Die Digitale Zukunft der Kunst

Auf Einladung der Akademie für Theater und Digitalität und des Theaters Dortmund widmet sich die Jahreskonferenz der dg im Jahr 2021 dem Verhältnis von Performing Arts und Digitalität. Wir untersuchen die gesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung und fragen, wie sich die Mittel des Theaters nutzen lassen, um Digitale Kunst zu machen und wollen Digitalität als gesellschaftlichen Prozess künstlerisch reflektieren. Denn klar ist: Das geht nicht wieder weg. Das, was jetzt den Theaterbegriff um digitale Spielformen erweitert, wird bleiben. Zu Beginn wird deshalb Judith Ackermann in ihrem Impuls zu Spielformen des postdigitalen Theaters einen Blick auf die Chancen werfen, die sich fürs Theater aus seiner Erweiterung ins Digitale bieten, und der Frage nachgehen, wie sich digitale und physische Anteile gewinnbringend miteinander integrieren lassen.

Wie aber sieht die digitale Zukunft der Kunst aus? Die Fellows der Akademie forschen gerade an Fragen, die unseren Umgang mit Digitalität in den nächsten Jahren prägen werden und präsentieren ihre Forschungsergebnisse in den eigens für sie geschaffenen Mozilla Hubs-Räumen – wohlgemerkt: Arbeiten, die oft zwar digitale Mittel benutzen, aber häufig ursprünglich für einen sehr physischen Raum gedacht waren. Wir freuen uns, dass sie für diese Konferenz digitale Präsentationsformen für ihre Arbeiten gefunden haben: Lena Biresch führt die Bereiche Theater, Virtual Reality und Hologramme in ihrem als Spiel konzipierten Projekt „Holopy3“ zusammen, Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten untersuchen Infrastrukturen und Narrative der Digitalisierung – und wie sie die Arbeitswelten verändert, in denen sich Menschen bewegen – Drohnenflüge über die Emscher und singende Avatare inklusive. Die Szenografin Vesela Stanoeva setzt den Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit auf Identitätsprobleme und ihre Erscheinungsformen. Ihr aktuelles Projekt „SUN WITHIN“ ergründet digitale Rituale, lädt zum Spielen und Experimentieren mit abnormalen Realitätsordnungen ein und kreiert faszinierende surreale Begegnungen mit außerirdischem Leben.

Während diese Arbeiten ca. im 15-Minuten-Takt neue Konferenzteilnehmer*innen einladen, verlangt Lukas Rehms Hubs-Installation „Sensory Airplanes“ eine andere Rezeptionsdauer: Die Synchronizität von Mehrkanalbild und Ton ist eines der technischen Forschungsfelder des Künstlers. Die ursprünglich für einen großen Ausstellungsraum konzipierte Installation dauert 42 Minuten, wir zeigen sie insgesamt 3 mal, mit jeweils anschließendem Künstlergespräch. Sein Projekt verbindet die Weiterentwicklung von kompositorischem, dokumentarischem und filmischem Material zur Barockoper Castor & Pollux und transformiert sie in eine theatrale, interaktive Installation.

Marco Donnarumma und Andrea Familari arbeiten in ihrem Forschungsprojekt „Humane Methods“ mit Körpersensoren, robotergestützten Prothesen, Methoden der künstlichen Intelligenz und lassen Musik und Licht interaktiv darauf reagieren. „Humane Methods“ soll später ein kollektives gesellschaftliches Experiment sein, das Technologie, Kunst und soziale Teilhabe in einer ungewöhnlichen Erzählform verbindet. Es transformiert den bisherigen Ansatz des Theaters auf physischer und konzeptueller Ebene grundlegend.

Das Ziel der Forschungen von Nils Corte und Roman Senkl an der Akademie ist die Neuentwicklung und Erprobung interaktiver Visualisierungssysteme für Extended Realities (XR) – Virtual Reality, Mixed Reality, Augmented Reality – und interaktivem Storytelling im Theater, bspw. mithilfe von Mozilla Hubs. Durch den Einbezug von XR, Motion Capturing, Realtime Computer Graphics und Computerspiel-Mechaniken erweitern die beiden Fellows Theater multimedial und schaffen neue Möglichkeiten der 3D-Darstellung realer Körper und sozialer Interaktion, u.a. mit der Visualisierungssoftware „Peppers Holosuite“, die es Schauspieler:innen ermöglicht, mit holografisch projizierten Objekten auf der Bühne zu interagieren und diese für das Publikum simultan erfahrbar zu machen.

Zwischendurch könnt Ihr Euch von der Bundeskulturstiftung das Jupiter-Programm erklären lassen, und spectyou stehen auch bereit zu erzählen, was sie tun.

Im Anschluss an die Präsentationen der Fellows gibt es Zeit für gemeinsame Reflektion, und Manuela Naveau von der Ars Electronica wird sich in einem kurzen Impuls Gedanken zur Agenda der EU zur Förderung einer trustworthy AI machen. Anschließend bleiben die Räume offen für Euren Austausch – nutzt sie, wie Ihr sonst bei Konferenzen das Bier nach dem Programm nutzt: Um miteinander ins Gespräch zu kommen. „Sag mal, kommst Du hier klar?“ ist ein todsicherer Gesprächsopener, wenn Ihr neue Leute kennenlernen wollt.

Die Digitale Gegenwart

Klar ist: Das geht nicht wieder weg. Das Theater nach der Pandemie wird ein anders sein, wir werden neue digitale Kanäle und Formate dazugewonnen haben, die bleiben. Die Frage ist nur: Wie macht es am meisten Spaß, und wer kann es besonders gut? Am Sonntag treffen wir die Expert*innen der digitalen Gegenwart: Wir haben die Player*innen versammelt, die die digitalen Performing Arts im letzten halben Jahr entscheidend vorangebracht haben. In den Experttalks gibt es vor allem die Chance, sich darüber auszutauschen, was Ihr selbst an Euren Theatern tun könnt, worauf es ankommt, und wie sich Best-Practice-Erfahrungen teilen lassen.

Tina Lorenz, Projektleiterin für Digitale Entwicklung am Staatstheater Augsburg, gibt Einblicke in neue Produktionsprozesse, erläutert Grundlagen verschiedener Konzepte von Mixed Reality und gibt anhand der internationalen Entwicklung von immersive theatre einen Ausblick, wo die Reise auch für uns im deutschsprachigen Raum hingehen könnte. Der Komponist Stefan Prins bewegt sich in hybriden musikalischen Räumen aus reellen und virtuellen Welten und beschäftigt sich mit der Frage, die sich aus #LET’S MEET unmittelbar ergibt: Avatare und Web-Identitäten schaffen eine neue Identität, die mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Wo befinden wir uns also und wer sind wir? Und was macht das mit der Kunst und unserer Wahrnehmung?

Die Pioniere der virtuellen Kopräsenz, die Cyberräuber Björn Lengers und Marcel Karnapke, reden über das, was plötzlich möglich ist: Wenn der Theaterbetrieb will, kann er digital.

Julian Kamphausen, den künstlerischen Leiter von Prater.Digital, der ersten Digitalbühne Deutschlands, beschäftigt die Frage, welchen – nicht nur technischen – Herausforderungen sich Kulturinstitutionen und Künstler:innen gegenüber sehen, wenn sie datensicher und ethisch möglichst unbedenklich eine selbstbestimmte digitale Infrastruktur aufbauen möchten. Kein Zufall, dass der Prater.Digital in Mozilla Hubs angesiedelt ist.

Christian Römer von der Böll-Stiftung ist seit Jahren einer der aufmerksamsten Beobachter der Digitaltheaterszene. Der Mitbegründer der Theater&Netz-Konferenz und Herausgeber des Netztheater-Readers lenkt den Blick auf den neu entstehenden Arbeitsmarkt: Wer macht die neue Arbeit? Was wäre dieses Arbeitsfeld aber genau – und wo sind die Menschen zu finden, die eine Rolle zwischen Dramaturgie, Technik und Kommunikation ausfüllen können? Welche Institutionen vermitteln einen Querschnitt der gewünschten Fähigkeiten und wieviel Interesse könnte für das Theater in netzaffineren Szenen vorhanden sein?

Arne Vogelgesang ist ebenfalls ein aufmerksamer Netzbeobachter, beschäftigt sich aber seit Jahren mit Inszenierungen der ganz anderen Art: radikale politische Propaganda im Netz. Außerdem spielt er mit VR und 3D und ist mit seinem Unreal-Theatre selbst einer der versiertesten Guides in virtuelle Welten, nur halt im VRChat statt in Mozilla Hubs.

Sina-Marie Schneller von Cheers for Fears bringen junge Künstler*innen und Studierende miteinander in Kontakt. Sie berichten von ihren Erfahrungen mit den Akteur*innen aus verschiedenen künstlerischen Sparten auf Festivals, in Workshops, Akademien, Laboren und gemeinsamen Produktionen.

Irina Bârcă und Katja Grawinkel-Claassen beschäftigen sich am FFT schon seit einigen Jahren mit dem, was sie „Theater der Digital Natives“ nennen. Ihre neue Art, Theater zu produzieren und zu erleben, steht für ein neues Spiel digitaler Technologien, Partizipation und gelebter Gleichberechtigung. Das Theater für junges Publikum spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Performance- und Multimediakünstlerin Katharina Haverich arbeitet seit Jahren mit VR und AR. Sie spricht über ermutigende Kollaborationen, gefühlte Berührungen, digitale Abenteuerlust und ehrliches Interesse am Publikum.

Wie geht’s weiter?

Wir sind gespannt, Euch in der virtuellen Akademie zu begegnen – und freuen uns auf die weiteren Stationen der Jahreskonferenz. Denn erstmals findet die Jahreskonferenz in vier Teilen statt: Im März bei #2 lassen wir uns in Kooperation mit dem Studiengang Spiel und Objekt der HfS "Ernst Busch"  Berlin von den Narrativen der Gamer*innen inspirieren; und dann treffen wir uns im Juli endlich, endlich live vor Ort in Dortmund bei #3 zum leibhaftigen Austausch und zum Feiern. Und zum gemeinsamen Weiterdenken: Über das utopische Potential des digitalen Raums, über die Notwendigkeit einer digitalen Ethik, über Decolonizing the Internet and AI, und über vieles mehr. Und darüber, wie dieses digitale Jahr unsere Körper und ihr Miteinander verändert hat… Zusätzlich werden wir, zu noch festzulegenden Daten, Workshops anbieten, die sich #4 mit Szenografie und Theatertechnik beschäftigen.

Und auch das: Digital ist sauteuer. Der Gastgeber – das Theater Dortmund mit der Akademie für Theater und Digitalität ermöglicht diese Konferenz auch mit großzügiger finanzieller Unterstützung. Außerdem werden wir vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW und der Landesbühnengruppe des Deutschen Bühnenvereins unterstützt. Und last, but not least: Eure Mitgliedsbeiträge und die Konferenzbeiträge sind maßgeblich für die Finanzierung der Konferenz. Euch und Ihnen gilt unser herzlichster Dank!

Und man kann und muss es so deutlich sagen: Wir danken dem Theater Dortmund mit allen seinen Sparten für die große Offenheit und Flexibilität, und die enthusiastische Aufnahme quer durch alle Sparten – wir freuen uns sehr auf diese Begegnung, es zeichnet sich jetzt schon ab, dass diese Konferenz auf sehr vielen Ebenen einen außergewöhnlichen Austausch initiieren könnte.

Herzlich,
der Vorstand der Dramaturgischen Gesellschaft

Kathrin Bieligk (stellv. Vorsitzende), Uwe Gössel, Kerstin Grübmeyer, Dorothea Hartmann, Karin Kirchhoff, Beata Anna Schmutz, Harald Wolff (Vorsitzender)

mit Raffaela Phannavong (Leitung Geschäftsstelle)
und Jana Thiele (Geschäftsführung dg)

programm

16./20./23./24. Januar 2021
#1 LET’S MEET
26.—28. März 2021
#2 LET’S PLAY
03./04. Juli 2021
#3 LET’S PARTY